Wenn türkische Schulbücher den Schulfrieden gefährden

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Die GEW als Gouvernante
Seit einiger Zeit wird über ein heikles Thema diskutiert, und zwar über die Forderung nach einem „Verbot türkischer Lehrbücher“ in Deutschland.
Dass Bücher in Deutschland verboten werden oder dass man mit dem Gedanken spielt, Bücher zu verbieten, hört man selten in den deutschen Medien. Nun aber prüfe das NRW-Schulministerium türkische Schulbücher in seinem Bundesland. Grund dafür seien Lehrmaterialien, die das türkische Konsulat für den muttersprachlichen Unterricht in NRW kostenlos Lehrern von Grundschulen und weiterführenden Schulen zur Verfügung gestellt habe.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte sich bereits im April gegen diese Lehrbücher geäußert. Die GEW behauptete, dass diese Lehrbücher nationalistisch, geschichtsverfälschend und diskriminierend seien. Der GEW-Sprecher Bertold Paschert ging sogar so weit, dass er ein Verbot dieser Bücher sowie Schutz für Lehrer vor extremistischer Beeinflussung forderte. „Die Konsulate haben sich aus dem Schulunterricht in Deutschland generell rauszuhalten“, heißt es in der veröffentlichten GEW-Resolution.

Türkisch und Türkische Kultur
Die vierbändige Reihe der Schulbücher „Türkisch und Türkische Kultur“ wurde vom Erziehungsministerium der Türkei mit dem Ziel herausgegeben, die Lehrkräfte in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, durch Verteilung kostenloser Lehrbücher zu unterstützen.
Die WAZ schreibt in einem Artikel vom 20.05.2013, dass die Lehrbücher die Verherrlichung des Türkentums und das Unterschlagen dunkler Kapiteln der türkischen Geschichte beabsichtigten. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erklärte, das Urteil der WAZ nach Prüfung der Bücher voll und ganz zu unterstützen. Die Lehrergewerkschaft sagte, dass diese Bücherreihe den Schulfrieden und die Freiheit des Unterrichts gefährde. Laut GEW werde ein heroischer Mythos vom heldenhaften Türkentum beschworen.
Inhaltlich behandeln die Bücher Bereiche der Sprache, Geografie, Geschichte, Religion und das Leben von Atatürk. Nach tiefergehenden Analysen der Lehrbücher verschärft GEW ihre Kritik. Laut GEW sind diese Bereiche ausschließlich aus der sunnitisch-türkischen heraus Perspektive verfasst worden und berücksichtigten nicht die Heterogenität der Türkei. Dass die GEW die Heterogenität der Türkei offenbar besser kennt als das türkische Bildungsministerium, ist natürlich eine erfreuliche Erkenntnis.
Keine Frage, Bücher können auch falsche Informationen enthalten, ja auch hetzend und diskriminierend sein (siehe Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“). In so einem Fall sollte man ehrlich dagegen angehen und entsprechende Maßnahmen einleiten. Jedoch ohne Hetze und Diskriminierung anderer. Wie ein Land sich identifiziert, seine Zugehörigkeit definiert, seine Geschichte fühlt und aufarbeitet, sollte ihm selbst überlassen sein. Die Kultur und Geschichte der Türkei neu zu schreiben oder zu interpretieren, sollte nicht die Aufgabe deutscher Ministerien sein.
Einen zweifelhaften Nachgeschmack bekommt diese Verbotsdebatte endgültig, wenn die Empfehlungen von Staatsbürgern prinzipiell türkeikritischer Nachbarstaaten wie z.B. Armenien an die GEW kommen. Die Neutralität dieser Buchkritiken ist damit nicht mehr gegeben.
Dass die Lehrbücher die Nationalhymne und die Prinzipien der Staatsgründung beinhalten, die Person Mustafa Kemal Atatürk als Gründer der türkischen Republik heldenhaft darstellen, sollte keine Gefährdung einer interkulturellen Öffnung sein. Wer soll bewerten, ob und wie viel ein Staatsgründer eines Landes verehrt werden soll, außer die Menschen dieses Landes selbst?
Müssen die USA jetzt Lincoln nach deutschen Maßstäben neu bewerten?
In allen Geschichtsbüchern oder Lehrmaterialien werden bestimmte Persönlichkeiten in den Vordergrund gestellt und heldenhaft dargestellt. Das gibt es in deutschen, französischen, englischen oder amerikanischen Lehrbüchern. Werden auch für andere wichtige Staatsmänner wie bspw. Churchill, Lincoln und weitere Persönlichkeiten Grenzen gesetzt oder soll es wieder mal eine Regelung nur für türkische Bürger sein?
Wie man den gerade noch zulässigen Grad einer „Verehrung des Staatsgründers“ bestimmen soll, werde ich wahrscheinlich nicht herausfinden können. Aber dass die Aussagen von den Lehrbuchkritikern nach einem Hauch von Populismus riechen, ist nicht von der Hand zu weisen – zumindest nicht für mich! Wieso es verboten sein soll, den türkischen Staatsgründer heldenhaft darzustellen und an einen türkischen Patriotismus zu appellieren, ist mir unklar…
Dass sich eine Nationalhymne eines Staates patriotische Töne erlaubt, ist wohl für die Öffentlichkeit nichts Neues. Während durch die Medien in der deutschen Gesellschaft ein neuer deutscher Patriotismus heraufbeschworen wird – man erinnere sich an die Fahnen und Hymnendebatten, die Patriotismus-Debatte vor und nach den Fußball-Weltmeisterschaften -, bei anderen den Patriotismus zu kritisieren, zeugt gerade nicht von guten Willen. Die Glorifizierung eigener Errungenschaften und Persönlichkeiten muss nicht gleich den Frieden gefährden und andere Nationen diskriminieren.
Man kann nachvollziehen, dass wegen der historischen Aufarbeitung der schrecklichen nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands die deutsche Öffentlichkeit in diesem Bereich sensibilisierter ist als andere Nationen, jedoch ist es gerade aus diesem historischem Kontext Deutschlands heraus schlicht und einfach unangebracht, anderen Nationen vorschreiben zu wollen, wie sie ihre Hymnen zu pflegen oder ihre Gründungsgeschichte zu interpretieren hätten.
Defizite beim Sprachniveau
Man stelle sich nur mal vor, dass in deutschen Schulen in der Türkei die türkische Regierung versuchen würde, deutsche Lehrbücher zu verbieten, weil dort ihrer Meinung nach die türkischen Mitbürger oder der Islam nicht genug respektiert, gewürdigt oder repräsentiert werden. Das wäre eine Entscheidung, die in ganz Deutschland zu Kritik und Aufschrei sorgen würde.
Kritisiert man diese Lehrbücher jedoch aufgrund des Sprachniveaus, kann ich den Kritikern zustimmen. Die meisten Lehrbücher, sei es für die Grundschule oder für die weiterführende Schule, sind sprachlich und pädagogisch ungeeignet für Schüler mit Migrationshintergrund. Dass die Migrantenkinder mehrsprachig aufwachsen und Probleme mit der Muttersprache sowie der deutschen Sprache haben, ist den Lehrbuchverfassern anscheinend nicht ausreichend bekannt.
Außerdem sollten Themen wie Auswanderung, Interkulturalität oder die türkische Einwanderung in Deutschland thematisiert werden, um auch den Fragen, die Schüler mit Migrationshintergrund beschäftigen, gerecht zu werden.

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