Showdown in der Türkei

  • Beitrags-Autor:
Manipulierte Tonbandaufnahmen, Spionagefälle und illegale Lauschangriffe halten seit Monaten die Türkei in Atem. Blockierte Zugänge zu sozialen Netzwerken wie Twitter und YouTube bestimmen derzeit die Tagesordnung. Kurz vor der Kommunalwahl ist die Spannung so groß wie nie zuvor.
Am 30. März werden Millionen Bürger der türkischen Republik zu den Wahlurnen eilen. Sie werden über ihre eigene Zukunft und über die Zukunft ihres Landes mitbestimmen. Politische Experten prophezeien eine hohe Wahlbeteiligung. Ein Grund für diese Prognose scheint zu sein, dass sie in den illegalen und gefälschten Aufzeichnungen eine massive Sabotage an der Zukunft des Landes sehen.
Es sind nicht die schlecht zurechtgeschnittenen Aufnahmen die gesellschaftlich Empörung ausgelöst haben, sondern die manipulierende Berichterstattung, die systematische Verwertung der kriminell erworbenen Aufnahmen und die professionelle Stimmungsmache im In- und Ausland. Viele möchten mit Ihrem Kreuz auf dem Wahlzettel ihre Verantwortung für das Land wahrnehmen. Sie wollen ein Zeichen setzen. 
Sternstunde der türkischen Demokratie
Die Türkei durchleidet derzeit eine Phase, wie sie vergeblich in den letzten elf Jahren Erdoğan-Regierung Ihresgleichen suchte. Seit den Gründerjahren mit Atatürk ist in keiner Epoche der Türkei das Schicksal des Landes mit dem Schicksal einer politischen Persönlichkeit so eng verbunden wie heute.
Millionen Wahlberechtigte werden am 30. März 2014 nicht nur den Bürgermeister wählen. Nein! Sie werden durch ihre politische Wahl auch über die politische Zukunft Erdoğan´s abstimmen. Sie werden ihre Zustimmung für seine bisherige Politik geben oder ihre Ablehnung bekunden.
Eine Frage des Vertrauens
Glauben die Wähler den anonym veröffentlichten Mitschnitten auf den sozialen Netzwerken oder vertrauen sie dem seit elf Jahren regierenden Regierungschef? Es ist eine der interessantesten und schicksalhaftesten Wahlen in der Geschichte der türkischen Republik. Die Wahlen sind eine Sternstunde der türkischen Demokratie. Um die angespannte Lage in der Türkei zu verstehen, muss man die Geschehnisse der letzten Monate weitaus differenzierter betrachten. Die Unterstellung, die seit den Gezi-Protesten des letzten Sommers am Taksim-Platz ständig formuliert wird, dass sich Ministerpräsident Erdoğan zu einem Diktator entwickelt habe, empört viele Bürger.
Einen Politiker der die Türkei in jedem Bereich um einen Quantensprung vorangebracht hat. Einen Politiker der bei den früher ausgegrenzten Minderheiten, einstmals gesellschaftlich und kulturell Unterdrückten, so beliebt ist wie keiner zuvor. Einen solchen Politiker den Diktatoren gleichzustellen empfinden viele als pietätlos. Die von den Medien und der politischen Opposition betriebene Gleichstellung mit Massenmördern wie Hitler, der Millionen von Menschen vergast, vertrieben und ermordet hat, erzürnt sogar sonst eher politisch zurückhaltende Gemüter. Oft liest man Nachrichtenmeldungen, die ihn mit Diktatoren vergleichen. Immer häufiger gibt es jedoch auch Kommentare, die derartige Vorwürfe als schamlos und niederträchtig bezeichnen. Auf den Punkt gebracht, finden in der türkischen Gesellschaft solche direkten Angriffe auf die türkische Demokratie wenig Zustimmung.
Das zeigen auch die Studienergebnisse diverser Institute. Beispielsweise die von Konda. Auf die Frage, welche Partei sie morgen wählen werden, haben 46,0% die Ak Partei (Adalet ve Kalkınma Partisi (auch AKP; deutsch Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) angegeben.
Vergleicht man dieses Ergebnis mit den Ergebnissen der letzten Kommunalwahl im Jahr 2009 (38,8 %), ist das ein signifikanter Anstieg, in der Wählergunst, für die Ak Partei.
27 % der Befragten haben die CHP (Cumhuriyet Halk Partisi; deutsch: Republikanische Volkspartei) – im Jahr 2009 waren es 23,1%- und 15 % für die MHP (Milliyetçi Hareket Partisi; deutsch: Partei der Nationalistischen Bewegung -im Jahr 2009 waren es 16,1%.
Skepsis bei Erdoğan-Kritikern 
Vor allem die Anhänger der Gülen-Sekte, die sich international als „The Society“ bezeichnet, sind über diese Wahlprognosen nicht erfreut. Fethullah Gülen, der in Pennsylvania lebende Prediger und Oberhaupt der Sekte, hat dem Premierminister öffentlich den Krieg erklärt. Er wünscht sich erwartungsgemäß eine Niederlage des Premiers – oder besser gesagt er betet dafür (wenn man dieFluch-Gebete als Gebet bezeichnet). Lange Jahre wurde Fethullah Gülen als der Friedensstifter, eine Art Gandhi des Islams dargestellt. Nun stellt sich aber heraus, das Gülen geduldig ein Netz aus seinen Getreuen im Staatsapparat gespannt hat. Bereits vor Jahrzehnten hatte er in seinen berühmten Predigten seinen Anhänger empfohlen Netzwerke zu schaffen. Der blinde Gehorsam der Gülen-Anhängerschaft, die aus gut ausgebildeten und erfolgreichen Menschen besteht, hat nicht nur Premier Erdoğan überrascht, sondern die gesamte Türkei. Staatsbedienstete die Anhänger der Sekte sind, spionierten ihren eigenen Staat aus. Sie spionierten ihre Vorgesetzten aus und einige legten auf Befehl anstandslos ihre Ämter im Staatsdienst nieder. Staatsanwälte legten vor Anklageerhebung, die jeweiligen Akten, erst Gülen vor. Erst nach seiner Zustimmung wurden rechtliche Prozesse eingeleitet.
“Mit der Geduld einer Spinne legen wir unser Netz, bis sich Menschen darin verfangen.”
Fethullah Gülen
Die Gülen- Sekte und ihre liberale Maske
Auf der einen Seite gibt sich die Gülen-Sekte weltoffen. Ihre angebliche Dialogbereitschaft und das angebliche humanistische Weltbild entlarvten sich in den letzten Wochen jedoch als reine Maskerade: In der Türkei argumentieren sie bei den Hausbesuchen ihrer weiblichen Mitglieder mit anti-westlichen Äußerungen wie: «Erdoğan versucht die Türkei in die christliche EU einzugliedern, deshalb dürft ihr ihn nicht wählen». Ihre höchst flexible Gesinnung und ihre klandestinen Struktur, demaskierte sich erst durch ihren unerklärten Krieg gegen den türkischen Staat. Betrachtet man nur die illegalen Telefon-Mitschnitte, die von Gülen-Quellen über Twitter und Co. an die Öffentlichkeit gelangt sind, erkennt man das Ausmaß der Gefahr für die Sicherheit der türkischen Republik. Ihr Amtseid, die Staatsgeheimnisse und die staatliche Hierarchie besitzt für sie keinerlei Gültigkeit. Seit wann und mit welcher Absicht die Gülen-Spione Erdoğan´s Gespräche mitgehört und aufgezeichnet haben, ist ungewiss. 
Ein Zustand, dass in einem vergleichbaren Fall, auch in westlichen Ländern sofort als Staatsverrat geahndet würde, blockiert momentan die gesamte türkische Politik. Seit dem 17. Dezember 2013 werden Tonaufzeichnungen veröffentlicht, deren Inhalte strengter Geheimhaltung unterliegen. Damit stellt ihre Veröffentlichung ein Sicherheitsrisiko für die Republik dar. Es ist augenscheinlich, dass die türkische Bürokratie und die Staatsverwaltung systematisch von den Sektenmitgliedern unterwandert worden ist. Die Gülen-Bewegung -wie viele andere Gruppen auch- ist erstmalig in den türkischen Staat ohne Beschränkungen eingebunden worden. Zunächst war die Organisation sogar aufgrund ihrer pro-westlichen Haltung ein privilegierter Ansprechpartner der Regierung. Es ist damit auch ein Schlag ins Rückenmark der neuen demokratischen Ausrichtung des Staates.
Es geht um die Zukunft des Landes
Die Gerichtsverfahren gegen Familienmitglieder der drei ehemaligen Minister laufen weiter. Wenn es Schuldige gibt, bin ich zuversichtlich, dass sie durch die türkische Justiz belangt werden. Jedoch sollte und darf nicht mit manipulierten Aufzeichnungen ein politisches Pokerspiel mit der Zukunft des Landes betrieben werden. Die Türkei besitzt als demokratisches und mehrheitlich muslimisches Land eine unverzichtbar große Bedeutung in der von Konflikten und Gewalt geprägten Peripherie des Nahen Ostens. Das sollte den westlichen Politikern, die für kurzfristige populistische Meinungsmache die einzige funktionierende Demokratie in dieser Region instrumentalisieren möchte, bewusst sein. Bei dieser Wahl wird es Gewinner und Verlierer geben. Es wird lachende und traurige Gesichter geben. Aber ein Gewinner steht jetzt schon fest: Die sich gegen jegliche Manipulationen standhaft wehrende, einzige und stabilste Demokratie in dieser Region: Die türkische Demokratie!

Schreibe einen Kommentar