Kopftuchverbot, Kopftuchbescheinigung und staatliche Diskriminierung

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Die rechtspopulistische Regierung von Österreich hat vor kurzem eine Gesetzesvorlage angekündigt, die das Tragen von Kopftüchern an Kindergärten und Grundschulen verbietet. Dies stellt ein willkommenes Vorbild für einige in einem Deutschland dar, das seit den letzten Bundestagswahlen ein großes Stück weiter nach rechts gerückt ist. Und zwar so weit, dass auch in NRW, im Bundesland mit dem größten Anteil an muslimischen Migranten, die CDU/FDP geführte Regierung mühelos AfD-Positionen rechts überholend ein Kopftuchverbot für muslimische Mädchen unter 14 Jahren fordert.

Gemäß der altbekannten politischen Strategie, bei Begründung von Restriktionen gegen Migranten, opportunistische Politiker mit Migrationshintergrund als Henkershelfer in den Vordergrund zu rücken, nehmen nun die populistischen Geschwafel von Personen wie der Integrationssekretärin Serap Güler, einen breiten Raum in der öffentlichen Diskussion ein. Mit Worten wie «Einem jungen Mädchen ein Kopftuch überzustülpen ist pure Perversion» beweisen solche Herrschaften, dass sie nicht nur kühl kalkulierend an der Alltagsrealität von Muslimen vorbeireden können, sondern auch, dass sie keine Grenzen kennen und keine Scheu davor haben, sich als Steigbügelhalter für rechtskonservative Ideen anzubiedern.

Weder gibt es einen einzigen bekannten Fall in Deutschland, wo einem Kindergartenkind ein Kopftuch «übergestülpt» wurde, noch hat das Tragen von Kopftuch vor der Pubertät eine islamisch-theologische Basis, wie auch viele islamische Gelehrte im Zuge der Diskussionen mehrfach betont haben. Sollte es in Grundschulen vereinzelt zum Handlungsbedarf kommen, dann wäre es vernünftig, mit Lehrern, Islamwissenschaftlern und Eltern gemeinsam an einem Tisch zu sitzen und Aufklärungsarbeit zu leisten, wie das auch normalerweise in Schulen bei diversen anderen Themen praktiziert wird. Daraus ein Politikum zu machen und ein gesetzliches Verbot zu verlangen ist nichts weiter als die Fortsetzung der von rechten Kreisen forcierten Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Dies ist ein Stimmenfang auf Kosten von muslimischen Frauen wie der ägyptische Handballnationalspielerin und Pharmazeutin Marwa El-Sherbini, die in Dresden wegen ihrem Kopftuch ermordet wurde – auf Kosten von Frauen, die sowieso dem täglichen Alltagsrassismus und der Diskriminierung ausgesetzt sind.

In Zeiten des steigenden Islamhasses und der Diskriminierung stellen inhaltslose und am Thema vorbeigehende Perversions-Geschwafel, wie die der NRW-Integrationsministerin Güler, keine integrationsfördernde Politikkultur dar, sondern eine ausgrenzende und polarisierende. Sie vertiefen die Vorurteile gegenüber den Minderheiten, die ihre religiösen und kulturellen Werte trotz der Ausgrenzung im Alltag beibehalten wollen und deren Integration in die deutsche Gesellschaft seit Jahren dauerhaft zu Unrecht in Zweifel gezogen wird. Das geht heutzutage sogar so weit, dass Diskriminierungsfälle nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Die von den Mediendebatten verunsicherte Mehrheitsgesellschaft betrachtet Kopftuch tragende Frauen zunehmend als „failed integration“ oder als Opfer ohne Selbstbewusstsein. Ein großer Trugschluss, wie die selbstbewussten muslimischen Frauen jeden Tag aufs Neue beweisen, indem sie trotz des Alltagsrassismus das Kopftuch nicht ablegen und dem Druck in der Gesellschaft standhalten.

Dabei unterscheiden sich die Lebensträume der Frauen mit Kopftuch kaum von denen ohne Kopftuch. Sie streben genauso wie andere Altersgenossen nach Bildungschancen, beruflichem Erfolg und Selbstverwirklichung. Sie träumen und halten ihre Hoffnung aufrecht, obwohl sie in der Berufs- und Arbeitswelt, im Bildungs- und Ausbildungssystem gravierende Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen durchleben müssen. Obwohl sie trotz ihrer Qualifikation nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden oder durch sogenannte Neutralitätsgesetze von vornherein in ihrer Ausbildung staatlich diskriminiert und ausgeschlossen werden. Als ob diese Benachteiligungen und Diskriminierungen nicht ausreichen würden, versucht man, wie im Fall der Stadt Pforzheim, die mit der lächerlichen Forderung einer «Kopftuchbescheinigung» für den Führerschein für Kritik sorgte, den muslimischen Frauen weitere Steine und Hürden in den Weg zu legen. Während sogar das erzkonservative Königreich Saudi-Arabien das Autofahren für Frauen zugelassen hat, versucht man inmitten einer westeuropäischen Demokratie das Autofahren für Frauen zu erschweren.

Muslimische Frauen brauchen keine Bevormundung, keine Doppelmoral und keine Scheindebatten. Was sie brauchen, ist ein ehrlicher Umgang. Der Grundsatz der Religionsfreiheit und des Gleichheits- und Nichtdiskriminierungsgebots nimmt einen hohen Stellenwert in der deutschen Verfassung ein. In der Realität ist man aber von der verfassungs-, zivil- und arbeitsrechtlich verankerten Grundsatzes der Gleichbehandlung noch weit entfernt. Und Integrationsbeauftragte wie Serap Güler, die solche Scheindebatten in so einem populistischen Ton angehen, tragen unrühmlich zu Vertiefung des Problems bei.

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