Der Weg vom „Arabischen Frühling“ ins „Arabische Chaos“

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Mit dem Putsch in  scheint der Aufbruch, den der „Arabische Frühling“ versprach, fürs Erste entscheidend gestoppt worden zu sein.
Als Mitte Dezember 2010 in Tunesien, einem der autoritärsten und repressivsten arabischen Staaten im Nahen Osten, die Protestwelle aufbrach, erhofften sich viele einen demokratischen Umbruch im Nahen und Mittleren Osten.
Erfolgversprechende und hoffnungsträchtige Ereignisse traten auf. Diktatoren wie Muammar al-Gaddafi, Zine el-Abidine Ben Ali und Hüsnü  wurden gestürzt. Teils mit internationaler Hilfe, teils durch friedliche Proteste.
Die Lage im Nahen und Mittleren Osten hat sich seitdem wechselhaft und höchst unterschiedlich weiterentwickelt. Mal haben die Ereignisse die Hoffnungen aufblühen lassen, mal wurde die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit aufgrund der Gewalt verstärkt, die in vielen Ländern um sich griff.
Die jüngsten Ereignisse in Ägypten die meisten Hoffnungen nun endgültig zunichtegemacht. Die steigende Brutalität und die teilnahmslose Haltung der übrigen arabischen Länder, der Europäischen Union und der USA gegenüber dem Militärterror haben die  an einem demokratischen Ägypten zurückgeschraubt.

Eine Demokratiebewegung mit machtkämpferischen Zügen
Immer mehr stellt sich die Frage: War der Sturz Mubaraks eine Demokratiebewegung der Ägypter oder nur ein gut inszeniertes, gezielt herbeigeführtes Machtwechselspiel seitens der Militärmacht? Diese Frage lässt sicherlich nicht eindeutig beantworten, aber Fakt ist, dass sich in Ägypten ohne die Genehmigung und Unterstützung des Militärs nichts bewegen kann. So könnte man durchaus auch behaupten, dass der Sturz Mubaraks unter Kontrolle des Militärs stattgefunden hat.
Lange Jahre hat der Westen mit den Diktatoren im Nahen Osten als strategischen sowie wirtschaftlichen Partnern kooperiert. Diktatoren wie Mubarak haben bei jeder Gelegenheit behauptet, dass ihr Sturz den Islamisten den Weg zur  bereiten würde. Was ist dem rational handelnden  nun lieber? Ein berechenbarer Diktator als Präsident oder ein unberechenbarer demokratisch gewählter Präsident? Die Antwort kann jeder für sich finden.
Der Sturz Mubaraks wurde auf dem Tahrir-Platz von allen Seiten, von den koptischen Christen bis zu strenggläubige Muslimen sowie von Laizisten bis hin zu Militaristen euphorisch gefeiert. Diese Einigkeit unter verschiedenen Parteien dauerte nicht lange an. Anscheinend hatte sich auch das Militär verkalkuliert. Nicht der vom Militär unterstützte Kandidat Ahmed Schafik wurde in den frei und demokratisch durchgeführten Präsidentschaftswahlen gewählt, sondern der von den Muslimbrüdern unterstützte Mohammed Mursi. Eine große Enttäuschung für die Schattenmacht in den Kasernen.
Mursi: Der Präsident ohne militärischen Dienstgrad
Von Anfang an war es offensichtlich, dass Mursi es als erster demokratisch gewählter Präsident Ägyptens nicht leicht haben würde. Er war nicht nur der erste demokratisch gewählte Präsident, sondern auch der erste ohne militärischen Dienstgrad. Die Politik Mursis wurde in seiner kurzen Amtszeit vom Militär mit wachem Auge verfolgt. Sein Schicksal war am Ende nicht anders als das seines Vorgängers. Auch er wurde wie Mubarak gestürzt.
Der Hauptgrund für den Militärputsch war nicht nur der Vorwurf, Mursi würde das Land radikalisieren, sondern auch die lahmgelegte Wirtschaft. Mursi konnte in einer kurzen Zeit den sozio-ökonomischen Forderungen nicht gerecht werden. Zweifellos, die tiefgehenden wirtschaftlichen Probleme könnten auch ohne die Unterstützung des Militärs nicht bewältigt werden.
Das Militär als größter Wirtschaftsakteur
Der größte Wirtschaftsakteur des Landes ist das Militär. Es kontrolliert ein Drittel der Wirtschaft in Ägypten. Ohne den Einfluss der Generäle sind in Ägypten Politik und Wirtschaft undenkbar. Das Militär ist gleichzeitig der größte Arbeitgeber des Landes. Ungefähr 500 000 Soldaten und Angestellte dienen dem Staat. Außerdem betreibt das Militär Hotelketten, Tankstellen, Bauunternehmen, Autofabriken sowie Nudelfabriken. Es wird vermutet, dass bis zu 40% des ägyptischen Wirtschaftsvolumens von Generälen betrieben wird.
Das alles ist eine unglaubliche Zahl, eine unglaubliche Verschmelzung des Militärs mit Politik und Wirtschaft. Interessant ist, wie intransparent dabei die wirtschaftlichen Handlungen des Militärs sind. Offizielle Angaben über das Volumen der wirtschaftlichen Aktivitäten gibt es nicht. Wie mächtig das Militär nun wirklich in der ägyptischen Wirtschaft ist, ist vage schätzbar, aber nicht messbar.
Nun hat sich die  Krise in Ägypten nach dem sog. „Arabischen Frühling“ verstärkt. Jeder vierte Ägypter lebt unter der Armutsgrenze. Der Tourismus ist im ganzen Land lahmgelegt. Die Währungsreserven sind bis zu einem gefährlichen Grad gefallen. Die Verschuldung des Landes hat einen Rekordzustand erreicht. Die  Lage verschlechtert sich kontinuierlich. Die Unsicherheit und Gewalteskalation im ganzen Land haben nicht nur den Tourismus, sondern auch die Investoren stark betroffen – ein wahrer tödlicher Schlag für die geschwächte Wirtschaft Ägyptens.
Die Machtspirale der Generäle und Bürokraten
Der Glaube daran, den Einfluss der Generäle in nur wenigen Jahren vermindern zu können, ist naiv. Wenn Mursi an irgendetwas die Schuld trägt, dann daran, dass er die Macht des Militärs und der Bürokraten unterschätzt hat. Wäre der Kandidat der Generäle, Ahmed Schafik, Minister für Zivilluftfahrt unter Mubaraks Führung, demokratisch gewählt worden, hätte das Militär seinen Einfluss festigen können. Mursis demokratischer Wahlsieg hat die Zukunftspläne der Generäle zum Schwanken gebracht. Der 3. Juli war der endgültige Schritt der Generäle, die Macht vom demokratisch gewählten Präsidenten weg und wieder an sich zu reißen.
Nun stehen wir alle der brutalen Realität gegenüber. Der „Arabische Frühling“ hat sich zum „Arabischen Chaos“ entwickelt. In Tunesien schwächelt die Regierung, in Libyen herrscht weiterhin Durcheinander, Ägyptens Putschisten lassen unschuldige Menschen ohne Scham und Gewissen erschießen und Assads Syrien ist in tiefe und unfassbare Gewaltexzesse gestürzt. Der Nahe und Mittlere Osten: ein Schauplatz von Machtkämpfen. Ein unheimlicher Machtkampf. So unheimlich, dass die Assad-Milizen möglicherweise sogar so weit gehen, Giftgas-Angriffe auf Babys, Kinder und unschuldige Zivilisten zu fliegen.
Auch die Medien tragen ihren Beitrag zu dieser unfassbaren Gewalteskalation bei. Sie prägen die Wahrnehmung der Menschen. Die Wahrnehmung der Realität des Militärputsches wurde dank der Medien verzerrt. Die Putschisten wurden so dargestellt, als hätten sie das Land von den angeblich gefährlichen sog. „Islamisten“ befreit. Das vollständig fehlende Urteilsvermögen hinsichtlich der Handlungsmacht des Militärs hat dazu geführt, das heute maßlos gegen jegliche Art von Menschenrechte verstoßen wird.
Suche nach einem Ausweg aus den Gewaltexzessen
Inzwischen suchen die EU und die USA eine Antwort auf das brutale Vorgehen der ägyptischen Sicherheitskräfte. Einerseits üben sie gemäßigte Kritik aus, andererseits halten sie sich die Verhandlungskanäle offen. Die Wiederherstellung der  in kurzer Zeit ist unrealistisch. Die Entlassung von Mubarak hat die angespannte Lage zwischen den Muslimbrüdern und der Militärregierung verschärft. Neue Demonstrationen wurden seitens der Muslimbrüder angekündigt, was angesichts der Brutalität und Gewaltbereitschaft der Militärregierung die Stimmung anheizt.
Wie nun der  verlaufen wird, ist ungewiss. Priorität hat er nicht mehr. Vielmehr ist die Sicherheit für die Menschen in Vordergrund gerückt. In einem Land, in dem der demokratisch gewählte Präsident im Gefängnis sitzt, der jahrzehntelange Diktator aber vom Gefängnis entlassen wird, kann man nicht von demokratischer Sensibilität sprechen.
Die radikalsten Länder im arabischen Raum, von Saudi-Arabien bis Jordanien, die den Putsch gegenüber den sog. radikalen Muslimbrüder politisch sowie finanziell unterstützen und hinter den Laizisten und Militaristen stehen, sind ein typisches Beispiel dafür, dass die „Arabellion“ viel mehr als ein Frühling ist – nämlich ein eiskaltes Machtspiel an sommerheißen Tagen.

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