Das «gemeinsame» NSU-Terror-Festival

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Prominente Gäste, Musik und Show. Für ein Straßenfestival gegen Rechts ist es ein großes Spektakel. Aber mit Sicherheit keine würdige Gedenkveranstaltung für die Opfer. Ein Kommentar über das Kölner «Straßenfest» 

Heute vor 10 Jahren, am 9. Juli 2004 explodierte eine Nagelbombe auf der, überwiegend von Türkischstämmigen, bewohnten Keupstraße in Köln-Mülheim. 22 Menschen wurden zum Teil, schwer verletzt. Dass niemand gestorben ist, kann als Wunder durchgehen, denn nach einem Gutachtenbericht des Bundeskriminalamtes hatte die Nagelbombe eine so hohe Explosionskraft, dass es Dutzende Menschen hätte in den Tod reißen können.

Es gibt vieles zu schreiben, zu kritisieren und zu beschweren. Türkischstämmige sind verstört. Die Enttäuschung über das Behörden- und Politikversagen nach dem Serienmord der NSU-Terrororganisation ist so groß, dass mancher bereits resignierte. Ein nicht geringer Anteil der Türkischstämmigen ist in hohem Maße über den Aufklärungsunwillen und der Verschleierungsabsicht deutscher Behörden beunruhigt und enttäuscht. Eine sich breitmachende Hoffnungslosigkeit ist spürbar. Aus diesem Grund erachten es die meisten Türkischstämmigen als sinnlos, sich offen und laut gegen die Gräueltaten des Rechtsterrors zu stellen. Es sei ein sinn- und hoffnungsloses Unterfangen die wahren Täter zu bestrafen, wenn die Ermittlungsbehörden im Vorfeld schon Akten vernichteten und wichtige Zeugen im Prozess tot aufgefunden werden würden, so der einhellige Tenor.

9. September 2000, Nürnberg. Enver Şimşek wird an seinem mobilen Blumenstand mit  8 Schüssen aus zwei Pistolen nieder gestreckt. Von Kugeln durchsiebt stirbt er zwei Tage später im Krankenhaus. Behörden ermitteln. Die Polizei verdächtigt die Ehefrau des Verstorbenen. Şimşek wird nach seinem Tod als Drogenschmuggler und PKK-Terrorist beschuldigt. Ein rechtsextremes Motiv der Ermordung wird kurzentschlossen von den Ermittlungsbehörden  ausgeschlossen.

19. Januar 2001, München. Eine Bombe explodiert im Lebensmittelladen. Es zerstört beinahe das Leben einer damals 19 jährigen Iranerin. Sie überlebte die Explosion schwer verletzt und arbeitet heute als Ärztin. Eine vollkommen integrierte, emanzipierte und gebildete Frau. Aus meiner Sicht eine Vorzeigemigrantin. Aus Sicht der NSU-Terroristen anscheinend nicht.  Ein Zeichen mehr, dass das Integrationsgeschwätz, die manch ein Politiker mit  Elan und Motivation von sich gibt, aus Sicht vieler Migranten weder Sinn noch Wert hat. Denn die Integrationsdebatte und das Integriertsein ist eben kein Harnisch gegen den Rechtsterrorismus.

13. Juni 2001, Nürnberg. Abdurrahim Özüdoğru wird mit zwei Kopfschüssen in seiner Änderungsschneiderei getötet. Kriminaltechnische Untersuchungen ergeben, dass es sich bei der Tatwaffe um die handelt, die auch bei dem Mord an Enver Şimşek benutzt wurde. Trotz dieses ausschlaggebenden Indizes, verlaufen die Ermittlungen im Sande. Auch hier wird ein rechtsextremes Motiv durch Behörden ausgeschlossen. Mit fatalen Folgen.

27. Juni 2001, Hamburg. Der Lebensmittelhändler Süleyman Taşköprü wird im Laden seines Vaters  mit drei Schüssen aus zwei verschiedenen Waffen ermordet. Die bei der Ermordung von Enver Şimşek und Abdurrahim Özüdoğru identifizierte Waffe wird auch bei diesem Mord benutzt. Polizeiermittlungen zeigen, das Süleyman Tasköprü angeblich Freunde im Hamburger Rotlichtmilieu hatte. Ein rechtsextremes Motiv wird natürlich auch in diesem Fall ausgeschlossen. Vielmehr stellt die Ermittlungsbehörde auf organisierte Kriminalität ab. Spätestens ab diesem Mord wird deutlich, womit man Türken gerne in Verbindung bringt. Erbärmliche Klischees und Vorurteile werden von den Behörden bedient, die einer Aufklärung der Morde entgegen wirken.

29. August 2001, München. Lebensmittelladenbesitzer Habil Kılıç wird in seinem Geschäft erschossen. Die Polizei ermittelt auch hier wieder ergebnislos. Anstatt in allen Richtungen zu ermitteln stellen sie in Kürze fest, dass es keinen Grund zu der Annahme gäbe, es handele sich um eine rechtsterroristisch motivierte Tat. Auch hier geht die Ermittlungsbehörde von organisierter Kriminalität aus. Dem Opfer wird zu Unrecht eine Nähe zu  Drogenhändlern bescheinigt.

25. Februar 2004, Rostock. Mehmet Turgut wird im Dönerladen mit drei Kopfschüssen ermordet. Die Polizei ermittelt – erfolglos. Aus Sicht der Behörden handelt es wieder einmal um einen weiteren Kriminalfall der türkischen Community. Ein rechtsextremes Motiv wird auch in diesem Fall ausgeschlossen. Anscheinend war es auch die Geburt der Mordserienbezeichnung «Döner-Morde», denn auch das folgende Mordopfer wurde in einem Dönerladen ermordet.

9. Juni 2004, Köln-Mülheim. Auf der vorwiegend mit türkischstämmigen Migranten bewohnten Keupstraße, vor einem Friseursalon explodiert eine Nagelbombe. 22 Menschen werden schwer verletzt. Die Polizei ermittelt. Kameraaufnahmen werden untersucht. Es wird von zwei Tätern ausgegangen. Beide mit Fahrrädern unterwegs auf der Keupstraße. Die Bombe explodiert per Funkfernsteuerung. Die Täter flüchten. Nach dem Bombenanschlag wird auf der Keupstraße im wahrsten Sinne die Hölle erlebt. Mehrere Personen sind schwer verletzt, bluten, liegen auf den Straßen, sind unter Schock. Eine Explosion an hellichtem Tag mitten in Köln. Für viele unvorstellbar, für andere eine Dimension des rassistischen Alltags. Trotz zahlreicher Zeugenaussagen und Kameraaufnahmen, schließen die Behörden auch in diesem Fall ein rechtsterroristisches Motiv aus, da es sich um die dicht türkenbewohnte Keupstraße handelt. Man spreche grundsätzlich von einem kriminellen Milieu, also schließe man ein fremdenfeindliches Motiv aus, beeilt sich ein Beamter am Abend des Anschlages zu erläutern.

9. Juni 2005, Nürnberg. Der Dönerladenbesitzer Ismail Yaşar wird mit fünf Kopfschüssen ermordet. Zwei Männer auf Fahrrädern waren am Tatort aufgefallen. Auch in diesem Fall ergibt die kriminaltechnische Untersuchung, dass es sich bei einer der Tatwaffen um die handelt, die bisher in den anderen Fällen eingesetzt wurde. Selbe Waffen, Täter, die auf Fahrrädern unterwegs sind, aber für die Polizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und für die Politiker gibt es anscheinend keine Auffälligkeiten. Was Medien betonen und womit sie die Gesellschaft bedienen sind wieder Klischees und Vorurteile gegenüber Türkischstämmigen.

15. Juni 2005, München. Inhaber des Schlüsseldienstes Theodoros Boulgarides wird in seinem Geschäft erschossen. Die Polizei ermittelt vergebens. Ein rechtsextremes Motiv wird, wer staunt noch, ausgeschlossen. Kurz nach dem Mord schreibt die Presse, dass die Türken-Mafia wieder zugeschlagen hat. Zwar ist Theodoros Boulgarides Grieche, aber man kennt ja die generelle Feindschaft zwischen Türken und Griechen. Noch ein Mord, dass den Türken nach dem Motto «Wer sollte es sonst sein außer den kriminellen, gewaltbereiten Türken», untergejubelt wird. Unfassbar.

4. April 2006, Dortmund. Der Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık wird erschossen. Wieder mal wird ein rechtsextremes Motiv ausgeschlossen. Behörden ermitteln im falschen Milieu. Anstatt die Dortmunder Neonazis ins Visier zu nehmen, gehen sie davon aus, dass der Mord, mal wieder eine kriminelle Tat zwischen mafiösen Türken ist.

6. April 2006, Kassel. Der Internetcafe-Betreiber Halil Yozgat wird durch zwei Kopfschüsse ermordet. Er ist das neunte Mordopfer der rechtsextremen NSU- Terrorzelle. Die Polizei ermittelt in der falschen Richtung. Die Ermittlungen bleiben erfolglos, da auch bei dieser Tat lieber in der türkischen Umgebung des Opfers ermittelt wird. Die Täter werden nicht gefasst. Zeugenaussagen verdeutlichten, dass an dem Tag, an dem Halil Yozgat ermordet wurde,  Andreas T.  sich zur Tatzeit in dem Internetcafe befand. Das Brisante ist, dass Andreas T. dem hessischen Verfassungsschutz angehört.  

Viele Opfer, kein Täter. Der NSU Prozess hat im Mai 2013 in München angefangen. Es wird voraussichtlich mehr als zwei Jahre andauern. Hauptangeklagte Zschäpe hüllt sich in eisernes Schweigen. Für viele, die bei der schlimmsten Mordserie der Nachkriegszeit mitgewirkt und mitgeplant haben, ist es wohl eine Erleichterung, dass sie nicht aussagt. Für die Familien und Angehörigen der Opfer, für die Türkischstämmigen, Migranten Deutschlands eine Qual, diesen Prozess als Zeuge und als Zeitzeuge, zu verfolgen.

Heute hat Bundespräsident Joachim Gauck die«Birlikte» (dt. gemeinsam)-Kundgebung eröffnet. In seiner Rede sagt er: «Auch ich glaubte nicht daran, dass in unserem Land eine rechtsextreme Terrorgruppe so lange unerkannt bleiben konnte». Interessant zu hören. Wie wahr Herr Gauck! Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass diese rechtsextreme Terrorgruppe dem Verfassungsschutz durchaus bekannt war. Auch Türkischstämmige glaubten nicht, als man denen erzählte, dass die Mordserie von der angeblichen Türken-Mafia durchgeführt wurde. Weiter sagt Bundespräsident Gauck: «Wir sind verschieden aber wir gehören zusammen. Und wir stehen zusammen!». Wichtige Aussagen, die hoffentlich das Vertrauen der Türkischstämmigen in die deutsche Strafverfolgung und zu den deutschen Ermittlungsbehörden wieder aufbaut.

Trotz all den positiven und ermunternden Aussagen vieler Politiker, Schriftsteller und Künstler an dem heutigen Tag, wird diese Aktion «Birlikte» Kultur-Festival, was mit Kirmes- und Konzertfeeling gefeiert wird, kritisch betrachtet. Die NSU Morde haben das Vertrauen der Türkischstämmigen in die Ermittlungsbehörden so tief zerstört, dass es unmöglich scheint, an diesem Tag den am 9. Juni ermordeten Ismail Yaşar und des Nagelbombenanschlages auf der Keupstraße gemeinsam zu gedenken. Ich persönlich, wie auch viele andere, empfinden tiefe Trauer. Dieses Spektakel als eine Gedenkveranstaltung einzuordnen, fällt mir unsäglich schwer. Diese Art des Gedenkens, mit Musik, Entertainment-Feeling und Jahrmarktsrummel soll dazu dienen, uns an einen Bombenanschlag oder Mordanschlag zu erinnern und der Mordopfer zu gedenken?  Nein, für mich kommt das nicht in Frage. Als ein Festival gegen Rechtsextremismus hat es seinen Sinn und Berechtigung, als ein Art des Gedenkens an die Opfer eher ein unwürdiges Spektakel.

Heute ist es wichtig, dass die Opfer vollständig entschädigt werden, das der NSU-Prozess mit all seinen Facetten aufgedeckt und schonungslos offen gelegt wird. Dass sowohl die Täter, als auch ihre Helfer, ungeachtet, ob es sich um aktenschreddernde Beamte, V-Männer oder politisch Verantwortliche handelt, bestraft werden. Sonst wird es niemanden zufriedenstellen. Solange Zschäpe nicht aussagt, wird der Prozess weiterhin als Scheinprozess wahrgenommen. Die Türkischstämmigen gehen davon aus, dass Zschäpe mit ihrem Schweigen andere nicht integre Persönlichkeiten aus verschiedensten Kreisen, deckt.

Wichtig ist für jeden Bürger dieser Gesellschaft, dass Antisemitismus, Islamophobie, Antiziganismus, Rassismus offen und ehrlich bekämpft werden, dass Gegenwartsbewältigung genauso wichtig wird, wie die Vergangenheitsbewältigung, so das wir uns in Zukunft nicht mehr für solche Schandtaten entschuldigen müssen.

Nicht die prominenten Namen sollten zur heutigen Kundgebung in Köln-Mülheim im Mittelpunkt stehen, sondern die Opfer. Vielen drängt sich die Frage auf, warum diese namhaften Personen nicht in Aktion traten, als ein Versagen der Behörden für Türkischstämmige sichtbar war, aber niemand ihnen Glauben schenkte. Der Stachel des Zweifels an der Glaubürdigkeit der Prominenten, die sich erst bei solchen Anlässen zu Wort melden, sitzt tief.

Es hätten die Opfer mit ihrem Leben  und ihrem vorsätzlichen und perfiden Tod in Deutschland im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stehen müssen. Eine Gedenkveranstaltung, die dem Andenken der Opfer gerecht wird, still und lautlos.

Sie werden weiterhin in der Erinnerung von Millionen Menschen leben. Von Menschen die dafür kämpfen, dass sich diese Tragödie niemals in Deutschland wiederholt.

Allah rahmet eylesin, mekanları cennet olsun. Sie mögen in Frieden ruhen.
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